Frank Rehfeld - Selbstvorstellung

Wie kommt man auf die Idee, Schriftsteller zu werden? Was bringt jemanden überhaupt dazu, Romane zu schreiben? Wie schafft man es, diese auch noch zu veröffentlichen? Wie kann man das Schreiben lernen, und woher kommen die ganzen verrückten Ideen? Das sind Fragen, die mir immer wieder gestellt worden sind, seit ich mich entschlossen habe, diesen unsicheren, unberechenbaren, mehr als einmal verfluchten und doch wundervollen Beruf zu ergreifen, und es dürfte darauf ebenso viele unterschiedliche Antworten geben wie Schriftsteller. An dieser Stelle will ich versuchen, sie aus meiner ureigenen Perspektive zu beantworten und mich selbst ein bisschen vorzustellen, da Bücher immer eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt haben, schon bevor ich selbst die erste Zeile geschrieben habe.

Aber beginnen wir ganz am Anfang. Geboren wurde ich am 14. November 1962 im niederrheinischen Viersen, wo ich auch aufwuchs und immer noch lebe. Da meine Mutter wenige Tage nach meinem ersten Geburtstag starb, wurde ich hauptsächlich von meinem Vater und meinen Großeltern, einige Jahre später dann auch von einer Stiefmutter aufgezogen. Trotz dieses Verlustes hatte ich eine wunderschöne Kindheit, Hobbypsychologen, die daraus eine Erklärung für meine Vorliebe für düstere, unheimliche Geschichten abzuleiten versuchen, sind so sehr auf dem Holzweg, wie die Leute, die dereinst die Titanic für unsinkbar hielten. Wir wohnten in einer Vorortsiedlung am Stadtrand, keinen Steinwurf entfernt von Wäldchen, Feldern und Bächen, und ich habe fast jede freie Minute draußen verbracht, um mit Freunden Cowboy und Indianer zu spielen, Geheimclubs zu gründen, Baumhäuser zu bauen oder im Gestüpp des nahen Bahndamms Höhlen zu errichten, und vieles andere mehr, was eine rege und abenteuerliche Fantasie hervorbringt und diese fördert. Ein Kind, das sich einbildet, ein aus ein paar Büschen bestehendes Fort oder eine Burg mit Holzschwertern oder Spielzeugpistolen gegen den Angriff imaginärer Feinde zu verteidigen, das macht kaum etwas anderes als ein Schriftsteller, nur dass dieser die in seinem Kopf stattfindenden Abenteuer auch noch aufschreibt.


Frank Rehfeld auf der Frankfurter Buchmesse vor seinen bei Blanvalet erschienenen Romanen

Seine Fortsetzung fanden diese gespielten Abenteuer in einem allabendlichen Ritual, wenn mein Vater mir vor dem Einschlafen noch einige Minuten irgendetwas vorlas. Oft genug konnte ich es kaum erwarten, am folgenden Abend zu hören, wie die jeweilige Geschichte weiterging. So wurde bereits in früher Kindheit meine Liebe zu Büchern geweckt. Als ich schließlich selbst lesen lernte, verschlang ich bei schlechtem Wetter, abends im Bett und oft genug noch heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke wahre Berge von Büchern. Das beantwortet schon einen Großteil der eingangs gestellten Fragen. Die Antwort auf fast alle von ihnen lautet lesen, lesen und noch mehr lesen. Es verschafft einem unbewusst ein Gefühl für den Aufbau von Geschichten, man vergrößert den eigenen Wortschatz und vor allem die Fähigkeit, sich auszudrücken. Die Basis und unverzichtbares Rüstzeug für einen Schriftsteller. Alles weitere ist dann handwerklicher Feinschliff, wenn man seine eigenen Texte kritisch untersucht, sie mit denen anderer Autoren vergleicht und aus seinen Fehlern zu lernen versucht, um Schwächen auszubügeln und sich zu verbessern.

Irgendwann begann ich selbst kleine Geschichten zu schreiben und diese im Freundes- und Verwandtenkreis herumzuzeigen, aber mit Beginn der Pubertät verlagerten sich meine Interessen zunächst einmal. Das änderte sich erst wieder, als ich mit sechzehn eine Reihe von vier Dracula-Filmen mit Christopher Lee im Fernsehen sah. Das Thema faszinierte mich so sehr, dass ich mir so ziemlich alles über Vampire besorgte, was ich ergattern konnte, darunter auch verschiedene Grusel-Heftromane, die ich ein, zwei Jahre lang Woche für Woche verschlang, bis sich immer mehr eigene solche Geschichten in meinem Kopf zu formen begannen und ich schließlich anfing, diese im Zwei-Finger-System auf der alten Schreibmaschine meines Vaters aufzuschreiben. Den dritten oder vierten Versuch hielt ich für gut genug, ihn an den Bastei-Verlag zu schicken, doch stand ich mit dieser Meinung wohl ziemlich allein da, denn nach einigen nervenaufreibenden Wochen kam das Manuskript mit einem nur wenige Zeilen langen Formbrief zurück - überaus verständlich, wie ich rückblickend eingestehen muss. Dank der mir eigenen Dicköpfigkeit ließ ich mich davon jedoch nicht entmutigen, so wenig wie von der Ablehnung weiterer Manuskripte. Über meinem Schreibtisch hängt aus dieser Zeit gerahmt ein Brief des damals zuständigen Redakteurs, in dem er u.a. schrieb: "Ich glaube, Sie sollten sich ehrlich eingestehen, dass Sie auf der Seite des Lesers mehr zu Hause sind als im Lager der Autoren, was ja keine Schande ist." Eine Schande sicherlich nicht, aber für einen Nachwuchsautor, der an sich glaubt, auch kein akzeptabler Ratschlag. Immerhin brachte mich der Brief dazu, das Manuskript auch mal an einen anderen Verlag zu schicken, den Zauberkreis-Verlag. Und diesmal fiel die Reaktion völlig anders aus. Das Manuskript wurde als grundsätzlich interessant bewertet, und nachdem ich einige beanstandete Passagen noch einmal umgeschrieben hatte, wurde der Roman für die Serie "Silber Grusel-Krimi" angekauft. An diesem Tag fühlte ich mich ungefähr wie James Cameron, der bei der Oscar-Verleihung für "Titanic" ausrief: "Ich bin der König der Welt!" Zu dieser Zeit ging ich noch zur Schule und tauchte am nächsten Morgen jubelnd mit zwei Flaschen Sekt in der Klasse auf, um diesen Erfolg zu feiern, und schwebte wochenlang auf rosaroten Wolken.

Der Ankauf ein und desselben Romans, der zuvor von einem anderen Redakteur abgelehnt wurde, lehrte mich aber vor allem eine der wichtigsten Regeln, die es in der gesamten Medienbranche gibt, gleichgültig ob bei Büchern, Filmen oder Musik: Die Geschmäcker sind verschieden, und man kann es niemals allen recht machen. Jeder Redakteur oder Lektor kann immer nur nach seinem eigenen Geschmack entscheiden, und entgegen all seinen Erfahrungswerten ist keineswegs gesagt, dass der seine dem anderer Leser entspricht. Selbst Autoren wie John Grisham haben für Romane zahlreiche Ablehnungen erhalten, die schließlich doch veröffentlicht wurden und sich millionenfach verkauften. Man darf sich auch durch eine lange Durststrecke einfach nicht entmutigen lassen. Weder durch Ablehnungen seitens eines Verlages, noch durch negative Besprechungen von Lesern. Diese tun weh, aber sie kommen zwangsläufig, denn es passiert immer wieder, dass ein Werk, das der eine vor dem Ende nicht mehr aus der Hand legen kann, einen anderen völlig kalt lässt.

Aber auch wenn der erste veröffentlichte Roman einen wichtigen Meilenstein darstellt, ausgesorgt hat man damit noch lange nicht, wenn es sich nicht gerade um einen internationalen Bestseller, sondern "nur" um einen Heftroman handelt, der nach einer Woche schon wieder aus den Regalen der Zeitschriftenhändler verschwindet. Damit es kein einmaliger Treffer bleibt, darf man keinesfalls abheben oder sich auf seinen Lorberen ausruhen, sondern muss mit noch mehr Fleiß daran arbeiten, seine Stärken weiterzuentwickeln und Schwächen auszumerzen, um seine Position zu festigen und sich im Laufe der Zeit eine treue Leserschaft zu erschreiben.

Nach dem Abi folgten bei mir knapp zwei Jahre Zivildienst. Während dieser Zeit konnte ich mehrere weitere Romane verkaufen, nun auch für verschiedene Serien des Bastei-Verlages. Das gab mir den Mut, allen gut gemeinten Ratschlägen zum Trotz nach Ende des Zivildienstes auf eine langweilige Ausbildung zu verzichten, sondern stattdessen den Sprung ins kalte Wasser zu wagen und mein Geld hauptberuflich mit dem Schreiben zu verdienen.
Gruselromane besaßen damals eine große, in Clubs organisierte Fangemeinde, die häufig Treffen veranstalteten. Auf diesem Weg lernte ich zahlreiche andere Autoren kennen, darunter auch Wolfgang Hohlbein, mit dem mich bis heute eine Freundschaft und gelegentliche Zusammenarbeit verbindet. Er lud mich ein, zu seiner Serie um den "Hexer von Salem" einige Romane beizusteuern, und nach dem Ende des Hexers verfasste ich gemeinsam mit ihm fünf Fantasy-Romane der "Saga von Garth und Torian". Meine ersten Buchveröffentlichungen!

Durch sie bekam ich beim Goldmann-Verlag einen Fuß in die Tür. Schon bald konnte ich dort unter dem Titel "Arcana" einen eigenen Fantasy-Zweiteiler veröffentlichen; außerdem bot man mir an, Romane zur Fernsehserie "Knight Rider" zu schreiben. Diese Art von Romanen zu TV-Serien entwickelten sich im Laufe der Zeit zu einem wichtigen Standbein für mich. Für verschiedene Verlage folgten im Laufe der Jahre Romane zu Serien wie "Hercules", "Star Gate SG1" und Andromeda, die mir halfen, mich auch in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten über Wasser zu halten. Ich finde es faszinierend, Personen, die ich wie Millionenen andere Menschen auch vom Fernsehen her kenne, zu einem Teil von mir selbst machen, meine Gedanken und Gefühle auf sie übertragen und sie dadurch mit zusätzlichem Leben erfüllen kann, das allein meiner Fantasie entspringt.

Mittlerweile blicke ich auf eine mehr als fünfundzwanzigjährige Laufbahn mit Höhen und Tiefen als Autor zurück, während der ich mehr als hundert Heftromane und etwa dreißig Bücher geschrieben habe oder zumindest daran mit beteiligt war. Manchmal, wenn die Ideen ausbleiben und jeder Satz zu einer Qual wird, oder wenn ich tagelang bis zur völligen Erschöpfung vor dem Computer sitze, um einen Abgabetermin einzuhalten, verwünsche ich mich selbst, dass ich nicht einen "normalen" Beruf ergriffen habe, aber das sind stets nur kurze Phasen. Ich bin ein geselliger Mensch und gehe in meiner Freizeit gerne und oft aus, um mich mit anderen zu treffen, Partys zu feiern, ins Kino zu gehen oder sonst etwas zu unternehmen, aber ansonsten ist die Schriftstellerei ein überaus einsamer Beruf, denn trotz aller Kontakte zu Verlagsmitarbeitern, Kollegen und Lesern findet die eigentliche Arbeit stets allein vor dem Computer, der Schreibmaschine oder einem Stapel Papier statt.

Und trotzdem ist es für mich zugleich der interessanteste Beruf der Welt! Er verschafft mir die Möglichkeit, meinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten, dass ich in meinem Kopf die spannendsten Abenteuer durchlebe, dass ich mich zum Herrn über Leben und Tod meiner handelnden Personen aufschwingen und sogar ganze Welten erschaffen oder auch vernichten kann. Welcher andere Beruf bietet diese Möglichkeiten schon?

Nein, ich kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu tun. Dafür spuken einfach zu viele Ideen und Geschichten in meinem Kopf herum, und irgendwann würde er vermutlich einfach platzen, wenn ich sie nicht herauslassen würde. Da schreibe ich sie schon lieber auf, vor allem, da es offenbar viele Menschen gibt, die sich gerne von mir an der Hand nehmen und in diese fremden Welten entführen lassen, um an der Seite meiner Helden Abenteuer zu erleben. Wenn ich dann von ihnen höre, dass es mir gelungen ist, sie spannend zu unterhalten und für ein paar Stunden ihren Alltag vergessen zu lassen, dann ist das das höchste Lob und der schönste Lohn für alle Mühen, und ich hoffe, dass mir das noch lange und oft gelingt.


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